Project details
Entstehungsjahr
2019
Video
Wettbewerbsbeitrag, 1. Preis
Category
Projekte
Katalogtext:
»Nein sagen« ist manchmal schon schwer genug, oft auch unbequemer als ein »Ja«.
Man stößt damit eher auf Widerstände, gelegentlich sind Rechtfertigungen nötig.
Nicht umsonst lassen sich unzählige, meist sehr teure, Kursangebote und entsprechende Ratgeberliteratur finden, die zum Ziel haben, »Nein sagen« zu lernen.
Wenn nun aber zusätzlich ein Konflikt zwischen dem Wort und der Geste des Nickens entsteht, wird es noch komplizierter.
Im anterioren Cingulum, einem Hirnareal, werden zwei widersprüchliche Signale empfangen.
Dieser Bereich regelt den Umgang mit Fehlermeldungen, moderiert aber auch unsere Ausdrucksbewegungen *1.
Unter anderem, die Ausführung der kulturell unterschiedlich erlernten Gesten.
Ein kurzer Widerstand muss überwunden werden, bevor eine Entscheidung getroffen werden kann, wie mit der Überforderung umgegangen werden soll.
Diesen kleinen »eingebauten« inneren Widerstand möchte ich äußerlich sichtbar machen.
Am zögerlichen Klang der Stimme, kurzen Irritation im Gesichtsausdruck oder einigen kleineren Koordinationsschwierigkeiten meiner Filmgäste lässt er sich vielleicht ablesen.
In der Videoarbeit »LEKTION 8 (für Fortgeschrittene)« reagieren 41 Personen verbal mit einem unmißverständlichen »Nein« auf einen persönlich imaginierten äußeren Widerstand.
Allerdings habe ich den Beteiligten erst vor der Kamera die Aufgabe gestellt, dabei gleichzeitig zu nicken.
Sie sollten mit der Geste der Zustimmung dem Gesagten entgegenwirken, statt das gesprochene Wort, wie gewohnt, mimisch zu unterstreichen.
Die Auswahl der Personen war zufällig, je nachdem, wer gerade Zeit hatte. Auch ein Mann, der eigentlich
nur den Stromzähler ablesen wollte, hat sich bereit erklärt, teilzunehmen. Manche mussten schon zu
Beginn ihren Widerstand gefi lmt zu werden, überwinden.
Auch Rezipienten der Videoarbeit treffen auf einen Widerstand, sobald Signale ihre Eindeutigkeit
verlieren. Heben sich Aussage und Geste gegenseitig auf? Ergibt hier Plus und Minus Null?
Was hat mehr Gewicht, was gilt hier? Ist diese Übung im Alltag brauchbar?
*1: Herr Dr. med. Alexander Jatzko hat mich in diesem Punkt netterweise beraten.
Aus der Begründung der Jury:
»Shakti Paqué gelingt es, das psychische und mimische-körperliche Erleben von Widerstand in die von ihr gefilmten Personen hinein zu verlegen. Ihre Ateliergäste sollten »Nein« sagen und erfuhren erst kurz vor der Videoaufnahme, dass sie dabei nicken sollten. Während wir diese 41 Personen dabei beobachten, wie sie »Nein« sagen und zugleich »ja« nicken, überträgt sich deren innerer Widerstand in uns hinein.
Manche der Gefilmten schaffen diese scheinbar einfache schauspielerische Übung nicht perfekt. Beim »Nein«-Sagen schütteln sie noch schnell den Kopf, anstatt wie verlangt zu nicken. Kindern gelingt der Gegensatz von Sprechen und gestischem Zeigen am schlechtesten. Sind die Erwachsenen mit mehr Lebenserfahrung die besseren Lügner? Wie sehr ist noch das scheinbar ehrlichste »Ja« oder »Nein« immer auch ein schauspielerischer Auftritt, eine Inszenierung von klarer Meinung, bei der man sich auch versprechen und verstolpern kann?
Durch die gelungene Reduktion und Konzentration ihres künstlerischen Versuchsaufbaus führt die Videoarbeit von Shakti Paqué ins innere seelische Zentrum allen Widerstands: nämlich dazu, »Nein« zu sagen und gleichzeitig »Nein« zu denken. Die spielerische Abweichung, dabei »Ja« nicken zu sollen, stellt alle innere Eindeutigkeit von Denken und Sprechen in Frage.
Shakti Paqués filmisch-performatives Nachdenken über die seelische Basis allen Widerstandes in jedem von uns kann als sehr gelungene künstlerische Grundlagenforschung verstanden werden.«